AUS DEM UNTERGANG ZUR AUFERSTEHUNG – ODER: WIE CHRISTIAN CONSTANTIN DEN FC SION UND DEN KANTON WALLIS VEREINNAHMT

15 000 Personen werden am Samstagabend zugegen sein und mit dem aufgeputschten FC Sion im Cup-Halbfinal gegen den FC Lugano ein Stück vereintes Wallis zelebrieren. Ausverkauft. Das war das Tourbillon-Stadion letztmals, als sich 2015 in der Europa League der Liverpool FC zeigte. Rund um das Stadion wird eine Mini-Fanzone eingerichtet, werden Bildschirme installiert für jene, die draussen bleiben müssen.

Der FC Sion suhlt sich in der Cup-Magie, in der Überhöhung eines Wettbewerbs, an dem er sich aufrichtet. Daran ändert auch der verlorene Cup-Final 2017 gegen den FC Basel nichts, der im 14. Anlauf den Mythos zerstörte, dass das Wallis jeden Cup-Final gewinne. Am wiedererwachten Zauber ändert auch die letzte Saison des sportlichen Grauens nichts, die Auflösungserscheinungen zeitigte, im krachenden Abstieg aus der Super League und in einer Art Konkurs des Systems von Christian Constantin gipfelte.

Nun, ein paar Monate später, ist vieles anders. Der Klub führt seit geraumer Zeit die Challenge League an und peilt den sofortigen Wiederaufstieg an. Die dunklen Wolken sind wie weggeblasen, die in der letzten Spielzeit bemühte Endzeit ist einem rosafarbenen Horizont gewichen. Vor einem Jahr alles schlecht – und jetzt fast alles gut? So einfach ist die erstaunliche Geschichte nicht.

Er nimmt Kollateralschäden in der Aussendarstellung in Kauf

Dennoch zeigt sich, wie wenig es im Fussball braucht, um im Zuge einer um sich greifenden Düsternis samt Selbstaufgabe wieder Land zu sehen. Kluge personelle Weichenstellungen, etwas Selbstreflexion, eine Katharsis, eine Trainerwahl und ein in schierer Perfektion inszenierter politischer Poker. Die Gewinner: der FC Sion – und vor allem sein Präsident Christian Constantin.

Er beherrscht nicht alles, aber vieles. Zum Beispiel das Spiel mit den Medien. Er ist ein Unterhaltungsfaktor und spart Energie, indem er Medienvertreter für sich einnimmt, kein Interview gegenlesen lässt und Kollateralschäden in der Aussendarstellung in Kauf nimmt.

Anfang 2023 verkündet er misslaunig sein Ende als Präsident, Takt- und Geldgeber des FC Sion. Mitte 2024 soll Schluss sein, alles ergebe keinen Sinn mehr, lässt er verlauten, der Klub sei nicht überlebensfähig und müsse weit unten im Amateurfussball notdürftig beatmet werden. Adieu, Spitzenfussball im Wallis. Die Medien waren aufgeschreckt. Der reiche Dompteur verlässt seinen Zirkus.

Der Zampano setzt die Behörden unter Druck

Im Januar 2024, also nur ein Jahr später, geht das proklamierte Ende in einen fulminanten Neustart über. Der Kanton Wallis, die Stadt Sitten und der FC Sion machen eine Absichtserklärung öffentlich, die dereinst zu einem neuen Stadion und zu einem Ausbildungszentrum mit neun Terrains führen soll.

Der Handel leuchtet ein und liest sich in groben Zügen so: Die Stadt stellt den Boden zur Verfügung, der Kanton beteiligt sich im vorgegebenen Kostenrahmen von 20 bis 30 Prozent am Ausbildungszentrum und am Stadion, und der FC Sion, oder besser: Constantin, trägt maximal 50 Millionen Franken. Das Projekt wird in der Constantin-Terminologie mit «FC Sion 2030» betitelt und ist natürlich kein selbstloses Projekt des Boden- und Immobilienspekulanten aus Martigny.

Nein, mitfinanziert wird das Projekt von einem Immobilien-Deal. Constantin soll Land in der Gemeinde Sitten erhalten und hat vor, darauf mehrere hundert Wohnungen zu errichten. Geben und Nehmen. In früheren Zeiten klotzte er mit Stadionprojekten in Collombey oder Riddes. Daraus wurde nichts. Aber Constantin kam zu Land, das er in Geld ummünzte. Der Ursprung seines Reichtums geht auf den Erwerb von Land in der Nähe der Walliser Autobahn zurück, auf dem er nicht Wohn-, sondern Handelsraum für Baumärkte und dergleichen schafft.

Die Klubfinanzen zeigen eine Bilanz des Grauens

Er dealt mit Land und Immobilien wie mit dem An- und Verkauf von Fussballern. Er tut dies nicht nur im Wallis, sondern etwa auch in Sugiez am Murtensee, 120 Kilometer von Martigny entfernt. Die vom Büro Constantin erstellten Überbauungen sind nicht schön, aber zweckmässig. Und sie bringen schnelles Geld ein.

Aus Sicht des Kantons Wallis liest sich das Zusammengehen mit Constantin etwa so: Lassen wir ihm buchstäblich Raum, dafür finanziert er uns Spitzenfussball. Mehr soll da nicht sein.

Die für das Jahr 2023 geltende Rechnung des Klubs ist für jeden Finanzchef wie nacktes Ökonomie-Grauen. Das Eigenkapital wird mit minus 30 Millionen Franken angegeben. Dem Ertrag von 14 Millionen steht der Aufwand von 28 Millionen gegenüber. Der Personalaufwand ist mit gegen 18 Millionen der viertgrösste im Schweizer Spitzenfussball – hinter YB, Basel und dem FC Zürich.

Absurd. Constantin bezahlt. Er wirft die Millionen dem Fussball hinterher, die er anderswo forsch und ohne Rücksicht auf ästhetische Verluste eintreibt.

Der Transfer Balotellis war ein Fehlgriff

Mitte 2022, also vor dem angekündigten Untergang, machte der Zocker dem Walliser Fussball ein besonderes Geschenk. Er liess sich den italienischen Stürmer Mario Balotelli ein paar Millionen kosten. Der Transfer bescherte dem Klub nicht mehr als ein unüblich lautes Medienecho. Der Rest ist Schweigen. Balotelli floppte, wie noch selten fussballerische Prominenz hierzulande gefloppt hat.

Neben der schlau ausgehandelten Perspektive mit dem Zeithorizont 2030 gehört die Zutat «weniger Balotelli» zum neuen Rezept des FC Sion. Oder wie es im Innern der Klubs heisst: mehr Demut und Ruhe, nicht das Ausland, sondern die Schweizer Liga als Jagdgründe, eine gesündere Atmosphäre und die gestärkte «mentalité alémanique». Also das, was Spieler wie Reto Ziegler, Dejan Sorgic, Nias Hefti oder der frühere YB-Junior Joël Schmied einbringen, die sich am Esstisch auf Schweizerdeutsch unterhalten.

In der letzten Saison hat Constantin – in einem Trainer-Domino sondergleichen – den Italiener Paolo Tramezzani gleich zweimal zurückgeholt. Bis zum Abstieg. Danach vermochte Constantin den heute 60-jährigen Franzosen Didier Tholot von dessen vierter Rückkehr zum Klub zu überzeugen. Die Mission: Wiederaufbau, Gruppendynamik, weniger Balotelli.

Die Anbindung Tholots zeugt von guter Würze. Er kennt das Haus des FC Sion, die Umgebung, die Walliser Mentalität, die Sprache und nicht zuletzt den Dirigenten. Am Freitag, einen Tag vor dem Cup-Halbfinal gegen Lugano, gibt er mit sonorer Stimme im Restaurant einer Golfanlage in der Nähe von Leuk Auskunft.

Der Trainer Didier Tholot kennt das Sittener Haus

Er weiss, was der Schweizer Cup ist, und vor allem: Er weiss um dessen Stellenwert hier im Tal. Tholot gewann den Cup mit dem FC Sion zweimal, 2009 gegen YB und 2015 in Basel gegen den FC Basel. Das war der 13. Sieg im 13. Final. Tholot weiss, dass er den Gegner starkreden muss. Seit sechs Monaten sei der FC Lugano «die beste Mannschaft des Landes», sagt er.

Der Franzose spielte in den 1990er Jahren in Bordeaux mit den späteren Weltmeistern Zinedine Zidane, Christophe Dugarry und Bixente Lizarazu. Er kam 1997 erstmals ins Wallis, als Constantin in die Champions League wollte, alles auf eine (Transfer-)Karte setzte und gegen Galatasaray Istanbul abstürzte. Das Abenteuer mündete später in einen gerichtlichen Nachlass mit einem Volumen von über 10 Millionen Franken.

So sind sie am Samstag alle wieder vereint, in ihrer Walliser Cup-Betrunkenheit. Vielleicht wird alles zu viel. In diesem Fall bliebe immer noch der realistische Aufstieg in die Super League. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht, als der FC Sion im Kampf gegen den Abstieg zweimal erbärmlich gegen Stade Lausanne-Ouchy verlor.

Die Option einer solch schnellen Kehrtwende ist ganz Constantin-like.

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