DIE ERöFFNUNGSFEIER DER OLYMPISCHEN SPIELE ERTRINKT IN REGEN UND KLISCHEES – UND IST TROTZDEM EIN GROSSES SPEKTAKEL

Da ist sie endlich. Vier Stunden musste das Publikum sich in strömendem Regen gedulden, bis die Sängerin Céline Dion an der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele auftritt. Und was für ein Auftritt es ist: Auf dem Eiffelturm, unter den olympischen Ringen, singt Dion zum Abschluss der Veranstaltung das Chanson «L’Hymne à l’amour».

Die 56-jährige Sängerin stand seit vier Jahren nicht mehr auf einer Bühne, sie leidet an einer seltenen Autoimmunerkrankung. Ihre Teilnahme an der Eröffnungsfeier war an diesem Abend wohl der grösste Triumph für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der immer betont hatte, dass er sich einen Auftritt Dions sehr wünsche.

Doch dass diese Zeremonie so stattfinden konnte, ohne dass irgendetwas Schwerwiegendes schiefging, war schon ein Triumph für sich. Zum ersten Mal überhaupt wurde die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele nicht in einem Stadion abgehalten, sondern mitten in der Stadt. Und zwar auf der Seine, auf sechs Kilometern Länge. 7000 Athletinnen und Athleten schipperten auf 85 Booten den Fluss entlang.

Der Tag begann mit schlechten Nachrichten

Selbst Macron hatte zugegeben, er habe den Plan am Anfang für eine Schnapsidee gehalten. Damit war er nicht alleine, kritische Stimmen erachteten das Projekt bis zum letzten Tag als wahnsinnig. Allein die Sicherheitsvorkehrungen für den Anlass waren immens, 45 000 Einsatzkräfte bewachten am Freitagabend die Stadt.

Der Tag hatte dann auch mit schlechten Nachrichten begonnen: Die staatliche Eisenbahngesellschaft SNCF teilte am Morgen mit, dass Unbekannte an zahlreichen Stellen des Bahnnetzes Brände gelegt hatten. Es kam zu massiven Netzausfällen, Hunderttausende Fahrgäste konnten ihre Verbindungen nicht wahrnehmen. Premierminister Gabriel Attal sprach von «koordinierten Sabotageakten».

Die meisten Besucher schien das nicht abgeschreckt zu haben. Schon am frühen Nachmittag reservierten sich die Menschen die besten Plätze am Seine-Ufer, ursprünglich hätten 600 000 Zuschauer die Feier an Ort und Stelle verfolgen sollen. Wegen Sicherheitsbedenken wurde diese Zahl auf 316 000 gesenkt. Die übrigen Olympia-Fans konnten das Spektakel auf Bildschirmen, die in der ganzen Stadt verteilt standen, verfolgen.

Die teuersten Tickets gab es für 2700 Euro, an den oberen Ufern konnte man sich das Spektakel aber auch kostenlos ansehen. Am meisten profitierten diejenigen, die in Apartments mit Seine-Blick wohnten: Auf den Balkonen und in den Fenstern drängten sich die Schaulustigen.

Kaum geht es los, kommt schon der Regen

Pünktlich um 19 Uhr 30 stachen die ersten Boote «in See». Während grosse Nationen wie Kanada und China gemeinsam über die Seine glitten, waren kleine Delegationen wie Bangladesh, Bhutan oder die Solomon Islands auf eigenen Schiffchen unterwegs. Die Eröffnungsfeier hatte kaum angefangen, als es zu regnen begann.

Den Tag über war es noch überwiegend trocken gewesen. Da hatten 120 Fackelträger die olympische Flamme aus dem Vorort Saint-Denis nach Paris gebracht, unter ihnen der amerikanische Rapper Snoop Dogg. Weitere Fackelträger waren die französische Schauspielerin Laetitia Casta, der französische Rapper MC Solaar und der ukrainische Stabhochspringer Sergei Bubka.

Doch ausgerechnet am Abend begann der Regen, teilweise goss es aus Kübeln. Der graue Himmel und die nach wie vor recht schlammige Seine gaben zu Beginn ein eher tristes Bild ab. Doch davon liessen sich Zuschauer wie Sportler die Stimmung nicht verderben. Schliesslich hatten die Veranstalter sich ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm überlegt.

Eine französische Show ohne Klischees?

«Wenn man die Welt empfängt, muss man etwas bieten», hatte der Geschichtsprofessor Patrick Boucheron, der die Zeremonie mitentworfen hat, am Morgen bei einer Medienkonferenz gesagt. Die Show werde die französische Geschichte und Kultur widerspiegeln, allerdings ohne dabei den Klischees zu verfallen. Eine französische Grossveranstaltung ohne Klischees, das mag man sich kaum vorstellen. Das Versprechen wurde dann auch nur bedingt eingehalten.

Die Show begann an der Pont d’Austerlitz, die durchaus spektakulär von dichtem Rauch in die Farben der Tricolore gehüllt wurde. Nachdem die ersten Boote die Brücke passiert hatten, folgte bereits der Auftritt der Sängerin Lady Gaga, nach all den vorherigen Spekulationen keine wirkliche Überraschung. Als Burlesque-Tänzerin verkleidet und begleitet von Tänzern mit rosa Federschmuck sang Gaga «Mon truc en plumes», das berühmte Sechziger-Jahre-Chanson der Sängerin Zizi Jeanmaire.

Damit war der Massstab gesetzt. Hinterher traten Tänzerinnen und Tänzer des Moulin Rouge auf, ein Flugzeug malte ein riesiges Herz in den Himmel. Bei der Tour durch die Kulturgeschichte durfte natürlich die Französische Revolution nicht fehlen. Dabei waren unter anderen Sängerinnen, die die geköpfte Marie-Antoinette darstellen sollten. Den Höhepunkt dieser Inszenierung bildete der Auftritt der Opernsängerin Marina Viotti gemeinsam mit einer französischen Heavy-Metal-Band.

Einmal kitschig, einmal skurril

Auch die Marseillaise wurde gesungen, von der aus Guadeloupe stammenden Mezzosopranistin Axelle Saint-Cirel. Sie trug ein Kleid in den Farben der französischen Flagge. Die Sängerin Aya Nakamura trat gemeinsam mit dem französischen Militärorchester auf, das dabei sogar zu tanzen begann. «En même temps» (gleichzeitig), schrieb Emmanuel Macron auf der Onlineplattform X zu dem Auftritt, in Anspielung auf den Namen, den er seiner Politik des Mittelwegs gegeben hatte.

An skurrilen Momenten mangelte es nicht: Einmal wurde der Wiederaufbau der Notre-Dame nachgetanzt, einmal ritt ein silberner Reiter auf einem mechanischen Pferd über die Seine. Als die Starsängerin Juliette Armanet, begleitet von dem Pianisten Sofiane Pamart an einem brennenden Klavier, den Song «Imagine» vortrug, schienen alle Klischees ausgereizt.

Das, was nicht mehr auf den Fluss passte, wusste man filmisch aufzufangen – durch einen anonymen Fackelträger, der mit der olympischen Flamme durch ganz Paris lief. Die maskierte Figur, verkleidet als Charakter des Videospiels «Assassin’s Creed», begegnete auf ihrer Reise zum Eiffelturm unter anderen der Mona Lisa und dem kleinen Prinzen und durchquerte ein Atelier der Modemarke Louis Vuitton.

In dem dramatischen Finale der Zeremonie ritt der Fackelträger auf einem Schimmel auf den hell erleuchteten Eiffelturm zu, der im Regen besonders zu funkeln schien, und legte in einer schier endlosen Prozession die olympische Fahne darunter ab. Für die Fackel war die Reise hier aber noch nicht zu Ende. Stattdessen durfte sie eine letzte kleine Runde durch Paris drehen und noch einmal den Louvre sehen. In den Tuileries entzündeten dann die Leichtathletin Marie-José Pérec und Judoka Teddy Riner das olympische Feuer.

Mehr Paris geht nicht – da passte eigentlich auch der Regen gut.

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