DIE KARIBIK-INSELN SIND AM ERFOLGREICHSTEN – SO SIEHT DER ALTERNATIVE MEDAILLENSPIEGEL DER OLYMPISCHEN SPIELE AUS

Wenn Olympische Spiele zu Ende gehen, suchen Offizielle des deutschen Sportfördersystems oft nach Erklärungen, warum es nicht so gut gelaufen ist. Im Vergleich mit andern Ländern investiere man eben einen grösseren Teil der Ressourcen in den Breitensport, setze nicht allein auf die Eliten, hiess es jüngst. So errang Deutschland in Paris nur zwölfmal Gold, dreizehnmal Silber und achtmal Bronze – das ist die schlechteste Bilanz seit der Wiedervereinigung 1990. Und bedeutete Platz 10 im offiziellen Medaillenspiegel.

Deutlich zufriedener waren am Sonntagabend, als sämtliche Medaillen der Spiele 2024 vergeben waren, die Schweizer. Mit einer einzigen Goldmedaille reichte es zwar nur für Platz 48 im Medaillenspiegel. Doch mit zusätzlichen zwei Silber- und fünf Bronzemedaillen sei das Ziel erreicht worden, wie Ralph Stöckli, der Chef de Mission der Schweizer in Paris, sagte. Ähnlich sehen es die Österreicher: Dank zweimal Gold und dreimal Bronze resultierte Platz 36. Mehr sei kaum drin, wird jeweils betont – als kleines Land sei es unmöglich, quer über die Sportarten hinweg mit Ländern wie den USA mitzuhalten.

Pakistan holt nur eine Goldmedaille pro 220 Millionen Menschen

Auf den ersten Blick scheinen solche Äusserungen gerechtfertigt: Die USA, die mit vierzigmal Gold wieder einmal den Medaillenspiegel anführen, haben 336 Millionen Einwohner. Im zweitplatzierten China, das gleich viele Goldmedaillen errang, aber weniger oft Silber, leben gar 1,4 Milliarden Menschen. Österreich und die Schweiz zählen indes nur je rund 9 Millionen Menschen. Selbst Deutschland mit seinen 84 Millionen könnte kaum beanspruchen, zu den USA oder China aufzuschliessen. Hierfür leben in Deutschland schlicht zu wenige Menschen. Oder?

Tatsächlich würden Deutschland, Österreich und die Schweiz im Nationenvergleich deutlich anders abschneiden, wenn die Zahl der gewonnenen Goldmedaillen durch die Bevölkerungszahl der Länder geteilt würde. Nach den Sommerspielen von Paris stünde Deutschland dann nur noch auf Platz 33, direkt hinter dem bevölkerungsmässig grösseren Japan (125 Millionen) und dem kleineren Rumänien (19 Millionen), das nur dreimal Gold gewonnen hat. Die Schweiz würde auf Platz 35 folgen, direkt hinter den USA. Österreich würde es so auf Platz 24 schaffen.

Platz 1 dieses Rankings würde Dominica belegen – und dies mit nur einer Goldmedaille (dank Thea LaFond) im Dreisprung der Frauen. Bei einer Bevölkerung von nur rund 67 000 Menschen ist das der beste Wert aller Teilnehmerländer. Auf Platz 2 folgt der karibische Nachbar Saint Lucia, das ebenfalls einmal Gold gewann (Julien Alfred im 100-Meter-Sprint der Frauen), aber eine rund dreimal so grosse Bevölkerung zählt.

Den letzten Platz belegt Pakistan mit nur einer Goldmedaille pro 220 Millionen Menschen. Das mit 1,4 Milliarden Einwohnern noch viel grössere Indien schafft es gar nicht in dieses Ranking, da es zwar einmal Silber und fünfmal Bronze errang, aber kein einziges Mal Gold. Trotzdem wird bei diesem Ranking ein Muster deutlich: Vorne landen entweder sehr kleine Länder, die nur sehr wenige Medaillen gewinnen, oder Länder mit weniger als 6 Millionen Menschen. Ausnahmen sind die Niederlande und Australien.

Wird das Bruttoinlandprodukt berücksichtigt, fallen Nationen wie Deutschland und die Schweiz zurück

Dabei bietet sich eine weitere Art des Ländervergleichs an, wie ihn der neuseeländische Informatiker Craig Nevill-Manning auf seiner Website medalspercapita.com dargelegt hat: Statt nur Gold zu zählen, sollten auch Silber- und Bronzegewinne berücksichtigt werden. Nevill-Manning verrechnet hierfür für jede Goldmedaille vier Punkte, für Silber zwei und für Bronze einen Punkt. Deutschland wäre in diesem Ranking nur noch auf Platz 44, die Schweiz würde auf 35 klettern, Österreich auf 40 fallen. Vorne läge weiter Dominica, Letzter wäre nun Indien.

Allerdings ist auch bekannt: Mit Investitionen in die Infrastruktur lassen sich sportliche Erfolge bis zu einem Grad erkaufen: So lohnt es sich, statt der Bevölkerung das Bruttoinlandprodukt (BIP) als Vergleichswert zu berücksichtigen. Diese Summe aller in einem Jahr produzierten Güter und Dienstleistungen steigt tendenziell mit der Bevölkerungsgrösse eines Landes. Teilt man die gewonnenen Olympiamedaillen also durchs BIP, wird sowohl die Bevölkerungsgrösse als auch der Wohlstand der Länder grob mitberücksichtigt.

In diesem Fall sieht es für Deutschland, Österreich und die Schweiz gar nicht mehr gut aus. Deutschland, die grösste Volkswirtschaft Europas, rutscht auf Rang 71 ab, die wohlhabende Schweiz folgt auf Platz 74, Österreich liegt nur leicht besser auf Position 68. Hinter der Schweiz folgen Japan (75) sowie die weltweit grösste Volkswirtschaft USA (76). Letzter in diesem Ranking ist nicht mehr Indien, wo Armut weit verbreitet ist, sondern der sehr wohlhabende südostasiatische Stadtstaat Singapur, der in Paris bloss einmal Bronze holte.

Ganz vorne stünden noch immer Dominica auf Platz 1 und Saint Lucia auf Platz 2. Und doch lässt sich nicht voraussagen, dass diese Nationen nach dieser Berechnung an Olympischen Spielen jedes Mal vorne liegen. An den Sommerspielen von Tokio 2021 landete San Marino auf Platz 1, vor Jamaica und Georgien. Dominica und Saint Lucia waren im Ranking überhaupt nicht zu finden – denn sie hatten keine einzige Medaille gewonnen.

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