IST ES GUT, DASS MARCEL HIRSCHER SEIN COMEBACK GIBT?

Nach fünf Jahren Pause kehrt der einstige Dominator in den Skizirkus zurück. Didier Cuche spricht von einem Segen – diese Meinung muss nicht geteilt werden.

Ja! Sportliche Langeweile, Funktionäre in der Dauerkritik – Hirschers Comeback kommt genau zum richtigen Zeitpunkt.

Die Schweizer Skifans kamen in der vergangenen Saison voll auf ihre Kosten. Immerhin was die Triumphe der eigenen Lieblingsfahrer angeht. Marco Odermatt dominierte nach Belieben. Abfahrtsweltcup: Sieger. Super-G-Weltcup: Sieger. Riesenslalomweltcup: Sieger mit fast doppelt so vielen Punkten wie sein ärgster Verfolger. Gesamtweltcup: Klar.

Immerhin gabs aufseiten der Frauen ein wenig Aufregung: Nach der Verletzung von Mikaela Shiffrin konnte Lara Gut-Behrami für den erhofften Farbtupfer nach vielen Jahren der gähnenden Shiffrin-Dominanz sorgen. Doch die US-Amerikanerin ist nun zurück …

Die Verantwortlichen und Macher des Weltcupzirkus stehen in der Dauerkritik. Der Kalender ist seit langem der gleiche und völlig überladen. Für neu konzipierte Rennen werden gerne mal Gletscher verstümmelt. Und dann kommt zu alldem die Langeweile mit den Ausnahmekönnern Shiffrin und Odermatt dazu.

Die Rückkehr von Marcel Hirscher ist daher das Beste, was der Skiwelt widerfahren kann. «Es geht um die Gaudi», sagt er zu seinem Comeback. Wer Hirscher aber in seiner ersten Karriere verfolgt hat, wie er sich zur absoluten Dominanz getrimmt und getüftelt hat, der kommt zum Schluss, dass es für ihn nicht darum gehen wird, nur knapp in den Top 30 zu landen oder halbbatzige Schwünge an den Hängen von Adelboden, Sölden und Wengen zu zeigen.

Hirscher ist ein Perfektionist, ein verrückter Hund, ein Wahnsinniger wohl auch, im positiven Sinne. Schon nur darum wird er mit seiner Präsenz für Aufregung sorgen. Während seiner Hochphase gewann er mal einen Riesenslalom mit über drei Sekunden Vorsprung. Danach warf er seine Ski in die Ecke. Unbrauchbar! Auf der Piste ist Hirscher ein Zauberer, und neben der Piste sagt er, was er denkt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Er war der Dominator, der polarisierte. Entweder man liebt ihn oder kann nichts mit ihm anfangen.

Und nun kommts zudem zum sehnlichst erwarteten Duell mit Marco Odermatt. Aus dem Umfeld von Hirscher ist zu hören, dass er nie mit dem Training aufgehört habe in seiner fünfjährigen Pause. Henrik Kristoffersen, der bei Hirschers Skimarke unter Vertrag steht, sagte im Dezember: «Marcel testet manchmal meine Ski. Er fährt immer noch schnell Riesenslalom, sehr schnell sogar. Wenn der Lauf nicht so lang ist, dann kann er mir gefährlich werden.»

Odermatt selber freut sich auf die Rückkehr seines Idols, er sagt aber auch: «Eigentlich kann ich in diesem Duell nur verlieren. Wenn ich in der besten Phase meiner Karriere langsamer sein sollte als Marcel, würde die Antwort auf die Frage, wer von uns besser ist, definitiv nicht zu meinen Gunsten ausfallen.»

So oder so, a Gaudi wirds auf jeden Fall. Vielleicht nicht für Odermatt. Aber für Hirscher. Und die Skifans auf der ganzen Welt. Tobias Müller

Nein! Hirscher läuft Gefahr, sein Vermächtnis zu verspielen, und für den Skisport birgt das Comeback ein Risiko.

Marcel Hirscher kehrt zurück. Der achtmalige Gesamtweltcupsieger. Der siebenmalige Weltmeister. Der zweimalige Olympiasieger. Die Skiwelt freut sich, Didier Cuche spricht gar von einem «Segen». Man erhofft sich ein fulminantes Comeback, ein Märchen sondergleichen und einen beispiellosen Zweikampf zwischen Marcel Hirscher und Marco Odermatt. 

Aber ist dieses Comeback wirklich so toll? Kann es nicht sein, dass Marcel Hirscher mit seiner Entscheidung weder dem Skisport noch sich selbst einen Gefallen tut? 

Es gibt drei Möglichkeiten, wie Hirschers zweite erste Weltcupsaison verlaufen kann: Er übertrifft die Erwartungen. Er enttäuscht die Erwartungen. Oder er liefert genau das, was Experten prognostizieren. Nur einer der drei Fälle wäre ein Gewinn auf ganzer Linie. 

Die Erwartungen zu übertreffen, würde im Fall von Hirscher bedeuten, dass er mehrere Podestplätze einfährt und im Gesamtweltcup vorne mit dabei ist. Unmöglich ist das keineswegs. Gemäss Experten befindet sich Hirscher in einem sehr guten körperlichen Zustand, ist auch nach seinem Rücktritt Ski gefahren, und das laut Kollege Henrik Kristoffersen auf einem bemerkenswerten Niveau. 

Und sosehr man Hirscher den Erfolg gönnen würde, so brächte dieser auch einen Verlust mit sich. Verlieren würde man den Glauben an die Grossartigkeit der erfolgreichen Fahrer der letzten fünf Jahre. Könnte ein 35-jähriger Hirscher, der fünf Jahre lang nicht mehr professionell Ski gefahren ist, mit Dominator Marco Odermatt mithalten, würde das dessen Erfolge stark relativieren. Und damit auch jene Leistungen der Sportler, die zuletzt hinter Odermatt platziert waren. Das Ganze würde ungleich verstärkt, wenn Hirscher gar den Gesamtweltcup gewinnt oder Weltmeister wird.

Sollte Hirscher hingegen hinter den Erwartungen zurückbleiben, hätte das Konsequenzen für sein persönliches Ansehen. Ein Sportler mit seinem Ehrgeiz gibt kein Comeback, um irgendwo jenseits der Top 10 ins Ziel zu fahren. Würde es dennoch so kommen, wäre er plötzlich nicht mehr nur der Marcel Hirscher, der acht Gesamtweltcups in Folge geholt hat. Er wäre zusätzlich noch der Marcel Hirscher, der sich selbst überschätzt und gedacht hat, er könnte fünf Jahre nach seinem Rücktritt noch einmal für Furore sorgen.

Möglichkeit drei wäre daher wünschenswert. Hirscher fährt regelmässig in die Top 10 und vielleicht auch mal auf ein Podest. Nur: Wiegt diese Möglichkeit, die das wenigste Spektakel mit sich bringt, die übrigen Risiken auf? Linus Schauffert

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