KOMMEN DIE SüNDER IM FALL FLüCKIGER UNGESCHOREN DAVON? EIN LEHRSTüCK üBER SPORTPOLITIK

Hat die schludrige und dilettantische Arbeit im Fall Flückiger für die helvetischen Dopingjäger Konsequenzen oder kommen sie ungeschoren davon? Die letzten Hoffnungen ruhen auf Swiss Olympic, der obersten Behörde unseres Sportes. Beunruhigend vieles deutet darauf hin, dass der Fall zu den Akten gelegt werden könnte. Als ein Lehrstück über helvetische Sportpolitik, die das Wohl der Funktionäre hoch bewertet.

Der Fall Flückiger kurz zusammengefasst: Eine Dopingprobe wurde von Swiss Sport Integrity so schludrig und dilettantisch durchgeführt, dass sie sogar von der Welt-Doping-Agentur WADA als unbrauchbar verworfen worden ist. In einer voreiligen offiziellen Medienmitteilung von Swiss Cycling ist diese Probe wider besseres Wissen als «positiv» bezeichnet worden. Dadurch wurde der Ruf von Mathias Flückiger schwer beschädigt und die provisorische, später wieder aufgehobene und letztlich ungerechtfertigte Sperre hat ihm die Chance auf den EM- und WM-Titel 2022 genommen.

Auch um das Vertrauen in die Arbeit von Swiss Sport Integrity wiederherzustellen, wären eigentlich eine interne Aufarbeitung und – je nach Ergebnis – personelle Konsequenzen bei Swiss Sport Integrity und bei Swiss Cycling erforderlich. Zwei Institutionen, die unbefangen sind, kommen für eine solche Aufarbeitung infrage. Das Bundesamt für Sport (BASPO) und Swiss Olympic.

Das BASPO koordiniert die staatliche Sportförderung, ist das «Scharnier» zwischen Sportverbänden und der Politik, führt das nationale Sportzentrum Magglingen und subventioniert neben Swiss Olympic unter anderem auch die Dopingbehörde Swiss Sport Integrity. Wenn das BASPO die Vorgänge im Fall Flückiger durchleuchten möchte – wenn also der politische Wille zur Aufklärung besteht –, dann wäre eine Untersuchung machbar.

BASPO-Direktor Matthias Remund bestätigt auf Anfrage, dass man sich tatsächlich Gedanken in dieser Sache gemacht habe. Und legt dar, warum das BASPO nicht eingreifen wird. Dass Fehler im Fall Flückiger gemacht worden sind, bestreitet er nicht. «Aber die Sportgerichtsbarkeit funktioniert und hat Mathias Flückiger schliesslich freigesprochen. Es gibt also kein Versagen des Systems.»

Das BASPO werde sich nie materiell in den Entscheid eines unabhängigen Sportgerichtes einmischen. Die Rechtsprechung sei Sache der Sportverbände. Deshalb sehe er keinen Grund für eine Untersuchung durch den Bund. «Das wäre höchstens dann angebracht, wenn es immer wieder zu solchen Vorkommnissen käme. Aber das ist nicht der Fall.» Das bedeutet: Der Staat (das BASPO) darf bzw. mag hier aufgrund der Zuteilung der Aufgaben und Kompetenzen nicht eingreifen.

Mathias Flückiger – der tapfere Held in unserem grössten Sport-Skandal

Swiss Sports Integrity darf aufatmen. Vom BASPO her droht keine Gefahr. Hingegen hat Swiss Olympic in der Sache noch nicht entschieden. Auf eine entsprechende Anfrage teilt Alexander Wäfler, Leiter Politik und Medien bei Swiss Olympic, mit: «Der Exekutivrat von Swiss Olympic wird sich an seiner Sitzung vom 25. September damit befassen, in welcher Form dieser Fall noch aufgearbeitet werden kann.»

Der Exekutivrat ist sozusagen die Regierung unseres Sports. Dieses Gremium wird also am 25. September darüber entscheiden, ob die helvetischen Dopingjäger und Swiss Cycling ungeschoren davonkommen oder ob es eine Untersuchung im Fall Flückiger – Romantiker würden sagen: Gerechtigkeit für Mathias Flückiger – geben wird.

Zu untersuchen wären in der Angelegenheit auch die Informationspolitik des Veloverbandes Swiss Cycling. Am 19. August hat die Agentur Keystone-SDA aufgrund einer offiziellen Medienmitteilung von Swiss Cycling die Meldung verbreitet: «Der Schock über die positive Dopingprobe beim Schweizer Mountainbike-Star Mathias Flückiger sitzt tief.» Es hat dopingrechtlich nie eine positive Probe gegeben.

Ohne jede Boshaftigkeit dürfen wir vermuten, dass der Fall Flückiger in den Akten verschwinden könnte. Nach dem von BASPO-Direktor Matthias Remund formulierten Grundsatz: Das System funktioniert und hat Mathias Flückiger letztlich freigesprochen.

Oder gibt es die Hoffnung, dass Swiss Olympic die ganze Angelegenheit aufarbeitet? Eigentlich müsste die oberste Behörde unseres Sportes daran ein Interesse haben. Kommt dazu: Swiss Olympic hat sogar eine Fachstelle für die Aufarbeitung von Missständen. Womit wir bei einer ganz besonderen Ausgangslage angekommen sind: Die für das ganze Dopingwesen verantwortliche Organisation Swiss Sport Integrity ist auch die Anlaufstelle, um Missstände allgemeiner Art aufzudecken und zu ahnden. Ganz zuoberst auf der Webseite von Swiss Sport Integrity finden wir ein Meldeportal:

  • Etwas beobachtet?
  • Selbst betroffen?
  • Sprechen Sie es an!

Wenn wir dann den entsprechenden Button anklicken, lesen wir:

«Sind Sie selbst betroffen oder haben Sie etwas beobachtet? Sprechen Sie es an! Die Meldestelle von Swiss Sport Integrity steht allen Personen offen, die eine Meldung über mögliche Verstösse oder Missstände machen wollen – auch in anonymer Form! Die Unabhängigkeit der Stiftung garantiert eine vertrauliche Behandlung und konsequente Aufarbeitung der Meldungen.Grundsätzlich können Ethikverstösse, Missstände in Sportorganisationen sowie Dopingverstösse, oder ein entsprechender Verdachtsfall, gemeldet werden. Swiss Sport Integrity ist für diese Themen die zuständige Anlaufstelle im Schweizer Sport und kann durch Erstberatung über die Vorgehensmöglichkeiten informieren, mutmassliche Verstösse aufarbeiten und gegebenenfalls verfolgen.»

Swiss Sport Integrity müsste im Fall Flückiger also gegen sich selbst eine Untersuchung führen. Es ist nicht ganz auszuschliessen, dass in einem solchen Fall das Ego und das Wohlergehen der Funktionäre mindestens so hoch gewichtet wird wie das Wohlergehen eines zu Unrecht zum Dopingsünder gestempelten Athleten.

Für einen Athleten, der sich zur Wehr setzen will, sind das eigentlich unhaltbare, kafkaeske Verhältnisse. Der Begriff bezeichnet eine alptraumhafte Situation, in denen der Einzelne willkürlichen, mit Vorliebe bürokratischen Prozeduren ausgeliefert ist, aus denen es kein Entkommen gibt.

Da müsste Swiss Olympic schon nach dem Vorbild der Politik eine «PUK Flückiger» veranstalten. Eine PUK für einen tapferen Athleten, der zwar 2020 in Tokyo Olympisches Silber gewonnen hat, aber nicht von ganz grossen Geldgebern alimentiert wird und hinter sich keine mächtige Lobby hat? Eher nicht.

Der Fall Flückiger könnte als ein Lehrstück helvetischer Sportpolitik in die Geschichte eingehen.

Das sind die Männer und Frauen, die am 25. September über den «Fall Flückiger» beraten werden:

Der Exekutiv-Rat von Swiss Olympic wird von Präsident Jürg Stahl gerührt. Die weiteren Mitglieder: Vizepräsidentin: Ruth Wipfli Steinegger (Tennis). Mitglieder: Sergei Aschwanden (Judo und Ju-Jitsu), Daniel Bareiss (Unihockey), Pascal Jenny (Handball), Mike Kurt (Universitäts-Sport), Barbara Moosmann (Schwimmen), Claude-Alain Schmidhalter (Ski), Nora Willi (Volley), Urs Winkler (Eishockey). Von den Aktiven sitzen Jeannine Gmelin (Rudern) sowie Matthias Kyburz (OL) im Gremium und von Amtes wegen die IOC-Mitglieder Gianni Infantino und Denis Oswald.

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