DER «FALL BICHSEL» IST EIN HOCKEY-SKANDAL – IST LARS WEIBEL NOCH TRAGBAR?

Verbands-Sportdirektor Lars Weibel und Nationaltrainer Patrick Fischer haben Lian Bichsel (19) bis und mit der Heim-WM 2026 aus dem Nationalteam ausgeschlossen. Bleibt das so, ist Lars Weibel nicht mehr tragbar. Nach diesem Skandal darf Verbandspräsident Stefan Schärer nicht zur Tagesordnung übergehen. Eine Polemik.

Wenn wir diesen Fall behandeln, müssen wir der Frage nachgehen: Wer ist Lian Bichsel? Ein paar Hosentelefongespräche in drei Länder und in zwei Sprachen fördern ein erstaunliches Bild zutage: Der «Fall Bichsel» ist ein Skandal. Punkt.

Die Auskunftspersonen möchten nicht noch Öl ins Feuer giessen und sind froh, dass sie nicht namentlich zitiert werden. Wäre nun Lian Bichsel ein arroganter junger Schnösel, ein undisziplinierter Lebemann, ein permanenter egoistischer Unruhestifter in der Kabine oder ein trainingsfauler Schillerfalter, der in kein taktisches Konzept zu integrieren ist – dann könnten wir sagen: Gut, dass ihn unser Verbandsdirektor und unser Nationaltrainer in die Schuhe stellen! Jawoll! Gut gebrüllt, Lars Weibel! Gut gebrüllt, Patrick Fischer! Ordnung muss sein!

Aber das Bild, das ausnahmslos alle von Lian Bichsel zeichnen, ist eben ein ganz anderes. Zusammenfassend ein paar auf den Punkt gebrachte Einschätzungen über den talentiertesten und besten jungen Schweizer Verteidiger und NHL-Erstrundendraft:

... «Hochanständiger Musterprofi» ...... «Leicht zu führen und ins Team zu integrieren, der Traum eines Coaches» ...... «Gut erzogen» ...... «Leistungsorientiert, geht für seine sportliche Entwicklung eine Extrameile» ...... «Ein gesundes Selbstbewusstsein» ...... «Lernbegierig» ...... «Hohe Eigenverantwortung» ...

Er verlange von sich selbst ein Maximum und nie Privilegien. Und so weiter und so fort.

Nicht ein einziges «ja, aber». Auch nicht von ehemaligen Coaches oder Betreuern der Junioren-Nationalteams. Auch nicht von Exponenten, die mit Kritik, wo sie angebracht ist, nicht sparen. Der einzige Fehler, der offensichtlich nachgewiesen werden kann: Der Agent von Lian Bichsel hat einmal ein E-Mail an eine falsche Adresse verschickt und dadurch ist die Verbandsobrigkeit nicht rechtzeitig über eine Absage in Kenntnis gesetzt worden.

Dass beim weitverzweigten Bundesamt für Eishockey – Pardon, beim Verband – mal ein Mail an die falsche Buchstabenbüchse gelangt, ist ein Betriebsunfall und bei Lichte besehen nicht einmal einer Erwähnung wert.

Lian Bichsels spielerische Qualitäten stehen sowieso nicht zur Debatte: Er beweist in diesen Tagen mit Rögle im schwedischen Playoff-Final, dass er gerade im defensiven Bereich Eigenschaften aufs Eis bringt, die allen unseren Verteidigern aus der National League weitgehend fehlen: Der smarte, flinke Riese kann Abräumen, er beherrscht sein Hoheitsgebiet entlang der Banden, er kann das Spiel stoppen. All das, was es braucht, um enge, intensive Spiele auf hohem Niveau zu gewinnen.

Der Hintergrund:

Harsche Sperre für einen künftigen NHL-Star – Patrick Fischers heikelster Personalentscheid

Keine Frage: Wir haben es hier mit einem selbstbewussten jungen Spieler mit internationalem Format und NHL-Potenzial zu tun, der seinen Weg nach oben zielstrebig geht. Deshalb hat er es gewagt, auf die U20-WM zu verzichten. Weil es für ihn wichtiger war, sich in der höchsten schwedischen Liga ins Team von Rögle zu integrieren, als Junioren-Hockey zu spielen. Weil ihn die höchste schwedische Liga weiterbringt als ein Juniorenturnier.

Wir sind nicht mit überdurchschnittlichen Verteidigern gesegnet. Oder um es polemisch auf den Punkt zu bringen: Wir können es uns nicht leisten, auf einen Verteidiger wie Lian Bichsel bis und mit der WM 2026 zu verzichten.

Es tönt gut, wenn Patrick Fischer sagt, niemand sei grösser als die Mannschaft. Das Problem ist nur: Lian Bichsel ist gar nicht grösser als die Mannschaft und verlangt auch gar keine Rolle, die ihn grösser machen würde als die Mannschaft. So gesehen ist Patrick Fischers Spruch – excusez-moi l’expression – barer Unsinn.

Es ist in einem hohen Grad irritierend, wenn wichtige Exponenten unseres Hockeys über die Verhältnisse rund um die von Lars Weibel geführte Verbandssportabteilung unter dem Siegel der Verschwiegenheit darüber klagen, dass es um Gesinnung und absoluten Gehorsam gegenüber dem Verbandsdirektor gehe. Ob es so ist, kann natürlich nicht überprüft werden. Es ist aber beunruhigend, wenn überhaupt solche Ansichten von hochqualifizierten Hockeyfachleuten im Zusammenhang mit dem «Fall Bichsel» ins Feld geführt werden.

Der «Fall Bichsel» ist ein Hinweis auf einen gefährlichen Missstand in einer leistungsorientierten Sportorganisation: Auf die Unfähigkeit, mit Kritik, gegenläufigen Meinungen und starken Persönlichkeiten umzugehen und das Ersetzen des konsequenten Leistungsgedankens durch Regeln von Bürogenerälen. Dabei wird ja dauernd geklagt, es gebe zu wenig starke Spielerpersönlichkeiten.

Wer es wagen kann, in einer Hockey-Nation mit einem so begrenzten Spielerreservoir den besten jungen Verteidiger aus «Glaubensgründen» – es liegen tatsächlich keinerlei disziplinarische oder sonstige Verfehlungen vor – für die nächsten vier Titelturniere (!) vom Nationalteam auszuschliessen, der muss sich sehr, sehr sicher im Sattel fühlen. Was wiederum ein klarer Hinweis darauf ist, dass die Sportabteilung unter Lars Weibel inzwischen ein Eigenleben entwickelt hat und nicht mehr geführt wird. Die letzte Führungsverantwortung trägt Verbandspräsident Stefan Schärer.

Nach dem «Fall Bichsel» darf Stefan Schärer nicht mehr zur Tagesordnung übergehen. Gerade er fabuliert gerne von der Eigenverantwortung der Spieler (Athletenweg). Eine der Kernaufgaben eines Verbandspräsidenten ist es, Unstimmigkeiten wie im «Fall Bichsel» kraft seines Amtes und seiner natürlichen Autorität intern zu lösen. Und wenn er zum Schluss kommen sollte, dass der „Fall Bichsel“ nicht zu lösen ist, dann ist es seine Führungsaufgabe, daraus einen «Fall Weibel» zu machen – im Interesse unseres Hockeys.

Aber auch im Interesse von Nationaltrainer Patrick Fischer, der in diesem Fall völlig unnötig in die Kritik gerät: Patrick Fischer war als Spieler im guten Sinne ein Rebell, der erfolgreich seinen Weg gegangen ist. So wie jetzt Lian Bichsel. Diese Behauptung sei gewagt: Für ihn wäre es kein Problem, Lian Bichsel ins Nationalteam zu integrieren, und tief in seiner Hockeyseele, dort, wo auch der Verbandssportdirektor nicht hineinsieht, mag Patrick Fischer Lian Bichsel. Es ist ein Problem für Lars Weibel. Nicht für den Nationaltrainer.

Entweder löst Stefan Schärer dieses Problem zum Wohle unseres Hockeys und integriert Lian Bichsel wieder in unser Nationalmannschaftsprogramm. Oder er wird zum Operetten-Präsidenten. Daran ändert der Ausgang der WM in Prag nichts. Ob wir nun Weltmeister werden oder im Viertelfinal scheitern: Es ist eine Torheit sondergleichen, ohne jede Not und ohne jeden nachvollziehbaren Grund jahrelang auf einen Spieler wie Lian Bichsel zu verzichten. Ende der Polemik.

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